Ein Jahr in Kopenhagen by Hofmann Marlene

Ein Jahr in Kopenhagen by Hofmann Marlene

Autor:Hofmann, Marlene [Hofmann, Marlene]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Herder GmbH
veröffentlicht: 2015-02-14T23:00:00+00:00


Juni

Autos, Elche und andere Einwanderer

Ich stand zu Hause vor dem Spiegel und streckte meinen Bauch heraus, was inzwischen gar nicht mehr anders ging. Groß und schwer wie eine Bowlingkugel zerrte das Baby an Muskeln und Sehnen, deren Existenz mir vorher gar nicht bewusst gewesen war. Alle meine Hosen mit normalem Bund verbannte ich kurzerhand in das Schubfach unterm Bett, weil ich in ihnen nicht mehr sitzen konnte, ohne dass mein Bauchbewohner von innen gegen den Bund stampfte. Langsam ließ sich der Gedanke, dass sich bald vieles in meinem Leben ändern würde, nicht mehr einfach so verdrängen.

Nach der Arbeit fuhren Niels und ich mit dem Fahrrad dann auch zum Krankenhaus, wo die Stadt Kopenhagen werdenden Eltern einen kostenlosen Crashkurs zum Thema Entbindung und Stillen anbot. Für alle weiteren Geburtsvorbereitungskurse musste man selbst zahlen.

Wir stellten die Räder am Haupteingang ab und standen einen Moment ratlos im Foyer des Rigshospital. Dann sahen wir aber, dass mehrere Frauen mit dicken Bäuchen und deren Partner nach links abbogen, und folgten dem Trupp der Schwangeren, die sich alle vor einem riesigen Hörsaal sammelten. Wir suchten uns einen Platz in einer der vorderen Reihen und fühlten uns in unsere Universitätszeit zurückversetzt: Holzstühle, Klapptische, ein verdunkelter Hörsaal, unten ein Podium mit riesiger Leinwand. – Nur dass hier jede Zweite einen runden Babybauch vor sich hertrug! Am Rednerpult tauchte wenig später eine kleine, schlanke Hebamme auf, die mithilfe einer dunkelhäutigen Babypuppe anschaulich erläuterte, was nach der Entbindung passieren würde. Die tatsächliche Entbindung, für alle im Hörsaal das eigentliche Mysterium, das bedrohlich immer näher rückte, sollte erst in den folgenden zwei Vorträgen in den nächsten Wochen erläutert werden – entweder, damit niemand gleich Reißaus nahm, oder um die Spannungskurve zu halten.

Wir saßen aufmerksam da und schauten uns am Beispiel der Puppe an, wie das Stillen später funktionieren sollte. Pflichtschuldig notierte ich mir Sachen, die ich in meiner Unwissenheit als werdende Mutter für wichtig hielt: „6–8 Mal am Tag stillen und Windeln wechseln. Babyblues, wenn die Milch einschießt. 2 Tage Aufenthalt im zur Klinik gehörenden Elternhotel, dann nach Hause gehen. Nach der Entbindung ca. 6 Wochen lang nicht baden, Baby dafür einmal pro Woche ohne Seife waschen. Still-BHs und Binden im Haus haben. 8 Wochen nach der Entbindung erste und einzige Arztuntersuchung, Untersuchung des Babys nach bereits 5 Wochen. Mit Sex 1– 2 Monate warten.“

Was tatsächlich auf mich zukommen würde, konnte ich mir trotz langer, detaillierter Erläuterungen beim besten Willen nicht vorstellen. Es schien anstrengend zu werden.

Langsam dämmerte uns, dass so ein kleiner Mensch viel Gepäck brauchte: Kinderwagen, Stubenwagen, Babybett, Autositz, Badewanne, Laufgitter und Wickeltasche, um nur einiges zu nennen. Nach und nach gingen von Freunden und Bekannten gebrauchte Kindersachen bei uns ein, von deren Existenz wir zuvor gar nichts geahnt hatten: Milchpumpe, Flaschenwärmer, Erlebnisdecke, Stilleinlagen und Still-T-Shirts. Unsere Wohnung füllte sich mit der Ausrüstung eines neuen Mitbewohners, der noch gar nicht richtig auf der Welt angekommen war.

„Vielleicht sollten wir doch dein Auto importieren“, sagte Niels eines Tages.

Mein Auto hatte das letzte halbe Jahr abgemeldet bei meinen Eltern gestanden, ohne dass ich einen genauen Plan dafür hatte.



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